Helden im Mega-Trend. Zwei Ausstellungen im Germanischen Museum Nürnberg

05. Dezember 2019

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg testet in zwei aktuell laufenden Ausstellungen seine Grenzen: Durch ABENTEUER FORSCHUNG und HELDEN, MÄRTYRER, HEILIGE weht uns Besuchern ein frischer Wind entgegen – was das Konzept beider Ausstellungen angeht. Dabei ist es ganz gleich, ob es die neue Leitung des Hauses ist (Daniel Hess), oder die sich anbahnende Konkurrenz (2020 wird der fränkische Ableger des Supertankers DEUTSCHES MUSEUM in Nürnberg eröffnen), die für Bewegung sorgen.

Auf den ersten Blick ist alles beim alten: gediegenes Setwork, gedämpftes Licht, die bekannten Museumsfarben. Beim Inhalt wird es interessant. Obwohl ABENTEUER FORSCHUNG ein nichtssagender Allerweltstitel ist, gelingt es dem Museum, sich zwar nicht gerade als Abenteuerspielplatz für Restauratoren, aber als bewegten Ort vorzustellen. Uns gefällt, dass das Museum am eigenen Mythos kratzt und in gut gewählten Beispielen die manchmal gerne als gegeben angesehene Deutungshoheit über die Objekte der Sammlung und ihre Geschichte hinterfragt. Ist es ein Zufall, dass gerade so oft über falsche Zuschreibungen, falsche Schlüsse und andere „misconceptions“ gesprochen wird, auch in der Welt der Science Center? Nein, die Museen erforschen sich selbst, und dabei werden sie richtig gesprächig. In diesem Fall überzeugen die ganz einfachen Fragen, die am Eingang in die Ausstellung eine Brücke in den gelebten Alltag schlagen: Was ist das? Woraus besteht das? Wer hat das gemacht? Wann? Wozu gehört das? Das fragen sich schliesslich nicht nur Museen sondern alle Menschen, zumindest die Neugierigen, immer wieder. Doch während die Mehrzahl irgendwann mit den Schultern zuckt, kann an einem Ort wie dem GMN die Antwort riesige Apparate beschäftigen. Damit wäre eigentlich der Punkt gemacht.

ABENTEUER FORSCHUNG geht aber noch einen Schritt weiter. Dort am Ende, wo in manchen Ausstellungen (Filmen, Romanen, …) die Klimax und dann ein Loslassen der (veränderten) Besucher stattfindet, stellt das Germanische Museum eine Art von Vertrauensfrage: „Doch ist die bloße Rückbesinnung aufs Alte nicht immer auch Flucht vor den Aufgaben der Gegenwart und Zukunft?“. Das Museum steckt nach eigener Aussage mitten in einer Diskussion mit offenen Ausgang. Und wirbt mit einigen „Objekt-Ideen“, die im letzten Raum abgestellt sind, darum, Zukunftsdebatten auch „historisch zu bespiegeln“. Ja, das ist eine Ansage in Richtung des angekündigten „Zukunftsmuseums“ ein paar hundert Meter weiter.

Und während die Megatrends noch in den Ohren schallen, geht es gleich weiter um die Ecke, in die zweite temporäre Ausstellung. Keiner weiß, warum der altbackene Titel. Aber die Geschichte, die in HELDEN, MÄRTYRER, HEILIGE ausgebreitet wird, ist einfach gut.

Niemand anderes als Jesus Christus ist (mit etwas Phantasie) dort als der Action-Hero auf einer „Heldenreise“ ins Paradies zu erleben. Wenn das keine historische Bespiegelung eines Mega-Trends ist. Chapeau. Und bis auf Superman, Lara Croft, Nelson Mandela und einen Helden aus dem Film Avatar, die in dezentem Grauton fast unterschwellige Auftritte auf dem Ausstellungsfolder haben, zückt das Germanische Museum ausschliesslich prunkvolle und farbenfrohe, skurrile wie erschütternde Kunstwerke aus dem Mittelalter, um die Geschichte von Jesus als Superheld plausibel auszubreiten.

Nach solch einem Plot verzehrt sich jedes Bibelmuseum. Etwas schade: das „Germanische“ vergibt die Chance, Kinder und Jugendliche (und deren Eltern) mit etwas mehr Raum zum spielerischen Identifizieren und testweisen „Re-enacten“ zu versorgen – vielleicht greift ja das entstehende Bibelmuseum am Lorenzerplatz bei diesem Stoff beherzter zu.

Fazit: Auch wenn die Form noch immer staatstragend ist und die Fülle des Materials im geschlängelten Parcours irgendwann ermüdet: es braucht nur ein wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wie viele Stories von Helden und Verlierern, Musen und Powerfrauen mit der Sammlung eines Museums wie dem GMN zu einem neuen Leben erweckt werden können.

Nachdem die vergangene Dekade den Science Centres gehörte – also „Museen“ ohne Exponate, daher auch ohne viel Text und mit viel Platz für das Selber-Konstruieren von Erfahrung (Konstruktivismus), zeichnet sich ein „social turn“ ab: Museen rücken weiter ins Herz der Gesellschaft vor und werden zu Vermittlern zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen (technischer) Möglichkeit und (natürlicher) Grenze, indem sie an Hand von Objekten dazu anregen, Geschichten und mögliche Verläufe von Geschichte(n) durchzuspielen. Sie können dies um so besser, je gastlicher sie werden.