Volkssternwarte

27. April 2010 / 13. Oktober 2019

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Es war nicht der Tag für lange Erklärungen. Raus aufs Dach, unter den von allen Flugzeugen gesäuberten Münchner Himmel. Die Kuppeln sind aufgeschoben, die Teleskope steil nach oben in die Nacht gerichtet. Rotes Licht sickert aus einem Container, so als hätte David Lynch hier einen vorbeiwehenden Traum skizziert.

Sekunden später ist meine Welt nicht mehr wie sie war. Während das Auge ans Okular geheftet ist, das seitlich aus dem Teleskop ragt, zieht mich ein Lichtpunkt mitten im Schwarz durch das Beobachtungswerkzeug und schleudert mich einen Haufen Lichtjahre weit in Richtung des Planeten Saturn, der sich immer deutlicher und immer schärfer da draussen abzeichnet. Aus einem Krümel auf der schwarzen Bettdecke des Universums ist mit einem Mal ein Juwel geworden. Der Ring mit dem Planeten, der Planet mit dem Ring – alle Bilder, Filme und Illustrationen, alles was ich je über ihn gehört oder gesehen habe, ist präsent. Und wird gleich darauf in die tiefer gelegenen und zur Flutung freigegebenen Stollen meines Bewusstseins ausgelagert. Platz für das Original! Ich seh ihn, und er sieht mich. Saturn – ziseliert und zitternd vom Münchner Dunst hoch über den Dächern.

Welch Kontrast zur Vortrags-Bauernstube, in der ich noch Minuten zuvor Teil einer Szenerie wie von Hieronymus Bosch gemalt war. Wissenschaft und Gottesglaube, in den Raum gestellte persönliche Weltbilder umkreisen sich auf der Bühne der Volkssternwarte erst respektvoll und dann, mit sinkendem Sauerstoffgehalt der Luft, durchaus auch gereizt. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Auch das ist Teil der Erfahrung.

Heute erst mal mit dem Aufzug nach unten, zurück aufs Pflaster der Stadt. Saturn, dessen Bild ich nun fest in meinem Herzen trage, steht derweil hoch über uns…